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Vorsichtig oder fühlig?

Schauen wir mal in unseren Schuhschrank zuhause und überlegen, wofür die ganzen Schuhe da sind: mal abgesehen von der Optik, erfüllen verschiedene Schuhe ganz verschiedene Ansprüche. Für einen Wanderurlaub in den Bergen mit anspruchsvollen Wegen werden andere Schuhe in den Koffer wandern, als für den Strandurlaub mit Shoppingtour. Und sollten die falschen Schuhe in den Koffer gewandert sein, wird man dies im Laufe des Urlaubes schnell bereuen, weil die Füße weh tun oder neue, der Situation angepasste Schuhe her müssen.

Fragt sich jetzt jemand, was das Beispiel mit unseren Pferden bzw. dessen Hufen zu tun hat? Nein, wir wollen euch nicht weiß machen, dass jedes Pferd einen Schuhschrank haben sollte, um für jede Situation und jeden Boden gerüstet zu sein, aber der Vergleich mit unseren Füßen und den dazu passenden Schuhen hilft vielleicht ein bisschen zu verstehen, warum Barhufer nicht mit jedem Untergrund glücklich sind, dies aber meist auch kein Drama ist. 

Aber zuerst mal einen kleinen Ausflug zu den beschlagenen Pferden: Ist ein Pferd gesund und korrekt beschlagen, läuft ein Pferd in aller Regel problemlos in jedem Tempo über jeden Untergrund. Das kommt daher, dass der Beschlag verhindert, dass das Pferd den Boden direkt fühlt, vergleichbar mit Wanderschuhen mit fester Sohle. Ein Beschlag ist also nicht nur ein Abriebschutz, sondern auch ein Schutz vor verschiedenen Böden, die barhuf ein Problem sein könnten. 

Barhufer haben keinen schützenden Beschlag, der sie vor spitzen Steinen und sonstigen Unannehmlichkeiten, die auf dem Boden unangenehm sein könnten, schützt. Da Pferdehufe aber sehr anpassungsfähig sind, braucht ein Pferd diesen Schutz nicht zwingend. Allerdings ist gerade am Anfang wichtig, dass sich der Reiter darüber bewusst wird, dass Barhufer auf verschiedenen Böden unterschiedlich gut oder schlecht laufen. Läuft ein Pferd auf manchen Untergründen schlecht, heißt das aber nicht gleich, dass das ein riesen Problem ist. Die meisten Reiter würden dann sagen: „Das Pferd läuft fühlig“. Aber was heißt denn „fühlig“ und heißt das gleich, dass ein Schutz nötig ist?

Unsere Pferde werden im Allgemeinen auf zu weichen und somit abriebarmen Untergründen gehalten (eingestreute Box, Wiese, Sandpaddock, Matschkoppel…). Im Gegensatz dazu sind die Böden im Gelände meist zu hart und abriebintensiv und das Pferd bekommt unter Umständen Probleme. Würden die Pferde sich den ganzen Tag auf den Böden frei bewegen, auf denen sie geritten wären, hätten die Hufe die Möglichkeit, sich an die abriebintensiven Böden anzupassen. Das Problem „fühliges“ Pferd wäre kein großes Problem mehr. Denn vermehrter Abrieb führt zu mehr Durchblutung und mehr Durchblutung führt dazu, dass das Hornwachstum angeregt wird. Außerdem wird die Hornsubstanz härter, wenn der Huf vielen Bodenreizen ausgesetzt wird, allerdings braucht die Zeit. 

Die wenigsten barhuf laufenden Pferde werden über groben Schotter marschieren, als wäre es Sand. Dabei gibt es Pferde, die langsamer werden, den Kopf senken und schauen, wie sie am besten über den unangenehmen Bodenbelag gehen können. Andere Pferde werden schauen, dass sie sich auf einen Grünstreifen retten und auf dem Untergrund ohne spitze Steine weiterlaufen können. Und wieder andere Pferde werden wirklich Probleme haben, diesen Boden zu bewältigen und am liebsten gar nicht über den unangenehmen Bodenbelag marschieren. Es ist die Aufgabe des Reiters zu beurteilen, wieso ein Pferd wie reagiert. Entweder es merkt die spitzen Stein, geht vorsichtig und langsam darüber und gibt Acht, dass die Steine nicht zu unangenehm werden. Oder es wählt den leichtern Weg mit dem angenehmeren Boden auf dem Grünstreifen. Allerdings kann es auch sein, dass das Pferd Schmerzen beim überwinden der Steine hat. Im ersten Fall wäre das Pferd nur vorsichtig und könnte den Weg, wenn man ihm die Zeit, die es braucht gibt, gut bewältigen. Durch den Reiz der Steine wird die Durchblutung im Huf angeregt, der Huf hat bei regelmäßigen Reizen die Möglichkeit, sich an die äußeren Bedingungen anzupassen. Solche Pferde werden mit der Zeit immer weniger empfindlich auf Böden mit spitzen Steinen reagieren. Pferde, die sofort den Grünstreifen nutzen, wissen entweder, dass dort der bequemere Weg ist, oder glauben, die Steine sind nicht schmerzlos überwinden zu können. Läuft ein Pferd sehr schlecht und das auf verschiedenen Böden, sollte man die Situation überdenken, ob das Pferd Schmerzen durch den Boden hat. 

Deshalb ist es für den Reiter nicht immer einfach, zu beurteilen, warum ein Pferd auf verschiedenen Böden unterschiedlich läuft. Läuft ein Pferd nur vorsichtig, die Hufe sehen gut aus und es hat ansonsten keine Probleme, macht es Sinn die Hufe zu trainieren und so auf lange Sicht zu erreichen, dass die Hufe besser mit schwierigen Böden zurecht kommen. Dies passiert nicht von heute auf morgen, die Reize für den Huf dürfen nicht zu groß sein und das Tempo darf ruhig langsam sein. Nur weil ein Pferd auf einem schwierigen Boden galoppieren kann, heißt das nicht, dass das auch sinnvoll ist. Läuft ein Pferd tatsächlich fühlig, die aktuelle Hufsituation gibt vielleicht Aufschluss darüber, warum dies der Fall sein kann und dem Pferd sind verschiedene Böden tatsächlich unangenehm oder sogar schmerzhaft, sollte die Gesamtsituation überdacht werden, ob es wirklich Sinn macht, das Pferd so weiter laufen zu lassen, oder ihm das Leben mit einem Hufschutz (Hufschuhe oder permanenter Beschlag) zu erleichtern. Denn sind Hufe erst einmal wirklich überlastet ist das Pferd nicht selten ein Fall für den Tierarzt und ein Hufschutz zumindest für einige Zeit nicht zu umgehen.

 

Gerade auch Haltungsänderungen sind nicht zu unterschätzen. Zieht ein Barhufer, der nie Probleme hatte, beispielsweise in einen Offenstall um, kann der Abrieb plötzlich zu groß sein. Dann sollte nicht zu spät gehandelt werden, um schlimmeres zu verhindern.

Aber zurück zu unserem Schuhschrank: auch wenn Pferdehufe und unsere Füße anatomisch nicht vergleichbar sind, wählen wir mit passendem Schuhwerk auch das Richtige für die entsprechenden Anforderungen. Nimmt man diesen Schritt dem Pferd nicht durch einen Hufschutz egal welcher Art ab, ist es wichtig, dem Pferd die Möglichkeit zu geben, sich der aktuellen Situation anzupassen. Dafür sind nicht selten Fingerspitzengefühl und ein gutes Auge und Gespür des Reiters gefordert.

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